Auswertung International

Nach ein bisschen Pause – inkl. zwei Einsätzen als Kampfrichter bei Weltcups – jetzt mal ein Beitrag darüber, wie die Auswertung bei den internationalen Wettkämpfen – Weltcups, Europa- und Weltmeisterschaften läuft.

Wie bei allen Wettkämpfen stehen auch bei den internationalen Wettkämpfen Kampfrichter an der Strecke und bewerten die Tore. Jeder Kampfrichter hat dabei bis zu 6 Tore, die er/sie zu bewerten hat. Das ist auch zu schaffen, denn international müssen die Kampfrichter nichts mehr notieren. Stattdessen haben sie ein sog. “Smart-Push-Interface” kurz “SPI”, ein Smartphone.

Smart-Push-Interface

Auf diesem Smartphone geben die Kampfrichter einfach ihre Wertungen ein. Ohne Erläuterungen. Allenfalls ein “?” für “Zweifel” ist möglich. Die Startnummern und die Tore werden von der Auswertungssoftware vorgegeben.

Dazu gibt es noch Videokampfrichter. Alle Läufe werden aufgenommen, damit die Mannschaften ihre Zwischenzeitauswertungen etc. machen können und die Trainer mit den Sportlern die Läufe besprechen können. Das ist das “technische Video-Signal” (TVS). Das TVS steht auch den Kampfrichtern zur Verfügung und die Videokampfrichter bewerten die Läufe anhand des TVS-Signals. Dazu haben auch die Videokampfrichter ein SPI.

Arbeitsplatz der Video-Kampfrichter (Weltcup Prag, 2023)

Es gibt zwei Videokampfrichter, denn bei den Vorläufen sind immer zwei Boote auf der Strecke. Ein Videokampfrichter übernimmt die geraden Startnummern, der andere die ungeraden Startnummern.

Im Halbfinale und im Finale, wenn die Startabstände größer sind, würde im Prinzip ein Videokampfrichter reichen. Aber dann ist auch das Fernsehen dabei und es gibt das Fernsehsignal als weitere Möglichkeit: Ein Videokampfrichter wertet dann auf Basis des TVS-Signals, der andere auf Basis des Fernsehsignals.

Alle diese Wertungen landen im Auswertungssystem. Wenn alle Wertungen identisch sind, dann gibt es keine Probleme. Wenn es Unterschiede gibt, dann wird das auf dem großen Bildschirm im Wettkampfbüro (englisch “OVR”, on-venue-result) entsprechend markiert. Und dann hat der Hauptschiedsrichter Arbeit, denn dann muss er/sie über die Bewertung entscheiden.

Anzeige aller Wertungen

Oft entstehen solche Differenzen, weil sich ein Kampfrichter vertippt hat und eine Wertung beim falschen Tor eingetragen hat. Oder beim falschen Sportler. Das lässt sich dann sehr schnell klären.

Welche Informationsquellen hat der Hauptschiedsrichter für die Entscheidung:

  1. die Wertungen der Kampfrichter (von der Strecke und den von den Videokampfrichtern)
  2. die TVS-Fernsehsignale
  3. die Fernsehbilder (Halbfinale/Finale)
  4. die sog. Gateline-Kameras

Im Gegensatz zu den Mannschaften, die im TVS-Signal die Läufe nur aus jeweils einer Perspektive sehen, hat der Hauptschiedsrichter viel mehr Möglichkeiten, denn die Signale aller Kameras werden aufgezeichnet und stehen dem Hauptschiedsrichter später zur Verfügung. Und wenn z.B. ein Mannschaftsführer Einspruch einlegt und dann sinngemäß sagt “auf dem Video sieht man das nicht” – dann könnte man dem entgegnen: “du siehst es nicht auf deinem Video, aber ich zeige dir jetzt noch ein paar mehr Videos von der gleichen Situation”. Und die meisten sind dann zufrieden und filmen die Situation vielleicht noch mit ihren Handys ab, um es den Sportlern zu zeigen. Andere fangen an zu diskutieren. Ist aber praktisch zwecklos und ist – so meine persönliche Meinung – auch nicht sinnvoll. Und wird auch seltener.

Im OVR werden alle Videosignale von allen Kameras aufgezeichnet. Diese können dann synchronisiert dargestellt werden. Dazu gibt es ein System namens “SlomoTV”.

Der Slomo-Bildschirm

Der Hauptschiedsrichter kann sich also fast jede Bewertungssituation aus mehreren Perspektiven anschauen und dann seine Entscheidung treffen. Neben den Kameras die über das Slomo-System angezeigt werden können, gibt es noch die sog. Gateline-Kameras. An jedem Aufwärtstor steht so eine statische, unbediente Kamera, die die Befahrungen aufnimmt.Weitere Gateline-Kameras können in speziellen Situationen, z.B. wenn die TV- und TVS-Kameras bei versetzten Abwärtstoren keine gute Perspektive bieten, eingesetzt werden.

Eine Gateline-Kamera

Grob gesagt stehen an so einer Strecke im Finale also ca. 20 Kameras, deren Aufnahmen dem Hauptschiedsrichter bei der Entscheidung helfen.

Dazu kommt – sobald ab dem Halbfinale das Fernsehen dabei ist – die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen. Das OVR hat eine Verbindung zum Fernsehteam. Und von dort kommt dann auch immer mal wieder die Information “ich habe Tor X von dem Sportler noch in einer sehr schönen Perspektive – ich zeige euch das gleich in der Wiederholung”. Und dann kommt über das Fernsehsignal in der Wiederholung nach einem Lauf eine noch ungeklärte Bewertungssituation und dann fällt erst die Entscheidung. Vom Fernsehteam kommt auch zwischendurch immer mal – bei solchen offenen Entscheidungen – die Information “wir machen jetzt ein Penalty-Review”. D.h., dass dann das Bild der im OVR aufgestellten Kamera gezeigt wird und auf das Kommando “Spy cam” versuchen alle Kampfrichter möglichst beschäftigt auszusehen.

Ziel des Systems ist es, dass die Bewertungen eines Sportlers feststehen, wenn der Sportler ins Ziel kommt. Wenn absehbar ist, dass das nicht zu schaffen ist – z.B. weil es eine sehr knifflige Situation ist oder wenn das “Problem” bei einem der letzten Tore entstanden ist, dann wird eine Bewertung auf “Public Review” gesetzt. Das bedeutet, dass – und das sieht man ja immer wieder bei den Live-Results im Internet – das “Sternchen” gesetzt wird. Die Sportler sehen das beim Zieleinlauf auch (dort ist eine kleine Tafel mit der Anzeige des Ergebnisses) und wissen dann, dass sich da evtl. noch was ändern kann.

Bei der ganzen Technik, die da eingesetzt wird, gibt es aber immer wieder Situationen, die auch mit den vielen Videos nicht eindeutig entschieden werden können. Und dann ist immer wieder die Überlegung: wo und wie könnte der Fehler passiert sein, welcher Kampfrichter hatte dafür die beste Position, … und dann kommt vom Hauptschiedsrichter “I’ll go with the judges outside …”.

Und es gibt auch weitere Gründe, warum die Kampfrichter an der Strecke unverzichtbar sind (und bleiben):

Dem Slomo-Rechner war anscheinend zu warm (Weltcup Prag 2023)

Wackelkontakt? Kabel kaputt? (Weltcup Prag 2023)

Nach dem Ausflug in das internationale Geschäft stellt sich natürlich die Frage: was können wir davon für die nationalen Wettkämpfe mitnehmen, was können wir auf nationaler Ebene umsetzen?

Variante 1: wir kaufen uns das internationale Auswertungssystem ein. Nach dem, was man so zu den Preisen hört, kostet das pro Wettkampfwochenende einen Betrag im niedrigen fünfstelligen Bereich.

Variante 2: wir bauen das nach. Mit eigener Software. Mit eigener Hardware. Da stellen sich dann die Fragen: wer macht das (Programmierung)? Wie wird die Hardware finanziert? (hier liegt der Betrag aber geschätzt deutlich unter den obigen Zahlen). Wer kümmert sich um die Hardware (Aufbewahrung, Transport zu den Wettkämpfen, Aufbau am Wettkampfort)?

Das Thema wird gerade diskutiert. Zugegebenermaßen auch nicht zum ersten Mal. Wer mitmachen möchte – nicht beim Diskutieren – sondern eher bei der Umsetzung, d.h. Software-Entwicklung, Hardware-Planung usw., der kann mir gerne eine Mail schreiben.

Ein Gedanke zu „Auswertung International“

  1. Danke, Markus, für diesen schönen Beitrag, der hoffentlich von vielen gelesen wird.
    Ich werde den Link mal verbreiten.
    Volker

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